Während in der Pandemie die Insolvenzen von Unternehmen deutlich rückläufig sind, zeigt sich bei den Verbraucherinsolvenzen ein markanter Anstieg. Im ersten Halbjahr 2021 legten die Insolvenzanträge von Konsumenten um fast 63 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu.
Rund 46.000 Betroffene haben sich an das Amtsgericht gewendet, um auf diesem Weg aus ihren Schulden herauszufinden. Seit zehn Jahren nehmen die Verbraucherinsolvenzen ab – rechnet man die aktuellen Zahlen bis zum Jahresende hoch, so würde allerdings ein Wert erreicht, wie er zuletzt 2013 registriert wurde. Damals war es zu 91.400 Verbraucherinsolvenzen gekommen. Es liegt nahe, zu vermuten, dass dieser Anstieg durch die Corona-Krise ausgelöst wurde.
Schneller schuldenfrei
Doch tatsächlich spielt wohl eine große Rolle, dass der Gesetzgeber zum 1. Oktober 2020 eine Neuregelung des Verbraucherinsolvenzrechts eingeführt hat. Das „Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens“ brachte für die Betroffenen eine Reihe entscheidender Erleichterungen, die teilweise rückwirkend gelten. Die Novellierungen waren auf europäischer Ebene beschlossen worden, die Bundesregierung hat mit dem Gesetz für die nationale Umsetzung gesorgt. Dabei geht Deutschland über die EU-Richtlinie hinaus, denn diese sah die Erleichterungen nur für unternehmerisch tätige natürliche Personen vor. Damit werden auch private Verbraucher in den Genuss des neuen Rechts kommen.
Entscheidend bei der Novellierung dürfte – insbesondere im Hinblick auf die nun anschwellenden Zahlen von Verbraucherinsolvenzen – die Verkürzung der Wohlverhaltensperiode sein. Diese wurde halbiert: Statt sechs Jahre sind es nun nur noch drei Jahre, in denen der Schuldner entsprechend der gerichtlichen Regelung seine Schulden abzubezahlen hat, um anschließend in den Genuss der Restschuldbefreiung zu kommen. Dabei sollen Verfahren, die bereits vor dem 1. Oktober in Gang gesetzt wurden, schrittweise ebenfalls verkürzt werden. Und es gibt noch weitere Erleichterungen: Die Verfahrenskosten müssen nicht gedeckt sein – eine Forderung, die schon seit langem erhoben wird. Bestimmte Mindestsätze, die bei der Befriedigung der Gläubiger gefordert wurden, sind nun weggefallen. Ein weiterer Passus: Bestimmte Tätigkeitsverbote, die gegenüber dem Schuldner aufgrund seiner Insolvenz verhängt wurden, fallen mit Erteilung der Restschuldbefreiung automatisch weg. Es bleibt aber dabei, dass der Schuldner sich in der Wohlverhaltensperiode weiter um eine Erwerbstätigkeit bemühen muss. Außerdem wird Vermögen, dass ihm in dieser Zeit zufällt, stärker zur Befriedigung der Gläubiger herangezogen. Getragen wird die europäische und deutsche Gesetzesinitiative von dem Bemühen, überschuldeten Privatpersonen eine schnelle Rückkehr in die wirtschaftliche Selbstständigkeit zu ermöglichen.
Warum noch zahlen?
Kritiker wenden ein, dass der Erlass dazu führen werde, dass das Schuldenmachen noch attraktiver werde und damit einer Erosion des Zahlungsverhaltens Vorschub geleistet würde. Vor dem Hintergrund staatlicher Schuldenberge ist tatsächlich zu befürchten, dass private Überschuldung ihren Schrecken verliert und durchaus hingenommen werden kann. Die Gesetzgeber erkennt die Problematik einer „Schuldner-Karriere“, bei der ein Verfahren das nächste ablöst. So wurde für den Fall, dass es erneut zu einer Insolvenz kommt, eine Sperrfrist von nunmehr elf Jahren (nach vorher zehn Jahren) eingezogen. Hinzu kommt eine Verlängerung der Zeit der Wohlverhaltensperiode auf fünf Jahre. Problematisch ist die neue Regelung für eine Verkürzung der Speicherzeiten im Hinblick auf die Privatinsolvenz, denn schließlich hilft es labilen Schuldnern, wenn potentielle Lieferanten und Händler über ihren Status informiert sind. Es hat für ihre wirtschaftliche Situation durchaus Vorteile, wenn ein leichtfertiger Konsum nicht so einfach möglich ist.
Gerade in Corona-Zeiten kommt die neue Regelung vielen entgegen. Denn die Pandemie sorgt dafür, dass manche Verbraucher in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Die Sparquoten der privaten Haushalte sind gestiegen. Dies aber ist in Abhängigkeit vom Einkommen zu sehen: Je nach Einkommenssituation schwankt der Anteil regelmäßiger Sparer zwischen 20 Prozent bei Geringverdienern und 60 Prozent bei höheren Einkommen. Dabei ist davon auszugehen, dass mit Ende des Lockdowns eine Welle von Nachholkonsum losbricht, der seine negativen Folgen im Hinblick auf die Überschuldung mit sich trägt. Nach einer aktuellen Umfrage von Creditreform fürchtet fast jeder Dritte, regelmäßige und auch außergewöhnliche Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können. Gut 10 Prozent der Bürger sprechen davon, dass sie im letzten Jahr Angst hatten, dass ihnen ihre Rechnungen über den Kopf wachsen. Insgesamt kommt der Anteil der Menschen, deren Haushalte unter Einkommenseinbußen zu leiden haben, auf fast 40 Prozent.
Ihre Auswirkungen auf das Geschehen bei den Verbraucherinsolvenzen werden die Überschuldungszahlen im Zeichen der Pandemie erst später haben. Der aktuelle Anstieg ist wohl den rechtlichen Erleichterungen geschuldet. Doch wird die prekäre finanzielle Situation bei einer gleichzeitig wieder erwachenden Konsumlust nach dem Lockdown darüber hinaus wohl ebenfalls Folgen für die Insolvenzzahlen haben. Das neue Insolvenzrecht für die Verbraucher ist zunächst bis 2025 befristet.
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