Brüder Grimm Festspiele in Hanau eröffnet

(pm/ea) – Die erste Premiere der Brüder Grimm Festspiele, die erstmals seit 2019 wieder unter „normalen“ Bedingungen, also ohne pandemiebedingte Einschränkungen, stattfinden konnte, war mit besonderer Vorfreude erwartet worden.

Und die Zuschauer im Amphitheater am Schloss Philippsruhe wurden nicht enttäuscht: Sie erlebten ein rund zweistündiges Feuerwerk von witzigen Texten und Dialogen, einem großartigen musikalischen Gesamtpaket, tollen Künstlern voller Spielfreude – und das Ganze in einer außergewöhnlichen Zirkus- und Varietéwelt. Dass sich also beim Schlussapplaus nicht wie sonst üb-lich der Oberbürgermeister als Erster für die stehenden Ovationen erhob, sondern es mit dem letzten Ton viele Zuschauer nicht mehr auf den Sitzen hielt, überraschte nicht.

Das Wichtigste zuerst: Klappen Sie das Grimm‘sche Märchenbuch in Ihrem Kopf zu, wenn Sie es sich bei einer Vorstellung von „Drosselbart!“ im Hanauer Amphitheater auf Ihrem Platz gemütlich machen. Machen Sie sich frei von zerbrochenem Geschirr, einem schmucken Prinzen auf dem gut gestriegelten Ross und vor allem von einer hochnäsigen Prinzessin, die ebenfalls auf dem hohen Ross sitzt, wenngleich nur im übertragenden Sinne. Mit dieser Grimm’schen Geschichte, die Märchenbotschafterin Ma-rie-Luise Marjan den Premieren-Gästen am Amphitheater vorgelesen hatte, hat die Inszenierung aus dem Jahr 2022 nur entfernt zu tun. Die diesjährige Inszenierung von „Drosselbart!“ als Musical verdient tatsächlich nicht nur das Ausrufezeichen, sondern vor allem den Titel „Welturaufführung“. Sie stellt die Ursprungsgeschichte komplett auf den Kopf, wagt den nicht unge-fährlichen Schritt, in die Handlung Anspielungen auf andere Märchen ein-zuweben, und hat Erfolg damit. Sie ist im allerbesten Wortsinn unkonventi-onell, schrill, temporeich, lustig und trotzdem mit Tiefen.

Die Charaktere sind nur auf den allerersten Blick eindimensional, aber der Zuschauer merkt schnell, dass die Figuren mit den Sorgen, Selbstzweifeln und all den Dingen belegt sind, die auch Otto Normalzuschauer umtreiben. Auch die gestalterische Klammer um diesen so ganz anderen Drosselbart ist gekonnt: Die Produktion verzichtet auf das klassische Schloss, auf Reifröcke, Kutschen und Diener im Livrée und versetzt die Handlung in eine Varieté-Umgebung, die an die 20er Jahre erinnert.

Doch jetzt zur Handlung: Prinzessin Ann (Pamina Lenn) wird 18 und soll heiraten – zum Erhalt der Dynastie. Die Thronfolgerin aber hat keine Lust, sich auf einen der Bewerber einzulassen und weist alle ab (Liedthema „Skandal“, das das Ensemble facettenreich an verschiedenen Stellen im Stück singt). Das mag zwar noch nach dem klassischen Drosselbart-Ein-stieg klingen, aber Ann ist nicht etwa ein verzogenes Gör, das sich für etwas Besseres hält, sie ist einfach brutal ehrlich („Ich kann einfach nicht lügen, ich bin das, was man politisch inkorrekt nennt“). Ihre Mutter, Königin Bianca, die seit 20 Jahren erfolgreich regiert („Ich schmeiß seit 20 Jahren die Firma“) und dafür trotzdem von ihrem Volk mit sinkenden Umfragewerten abgestraft wird, weil es einen Mann auf dem Thron sehen will, hat die Nase voll und spricht ein Machtwort. Daraufhin entscheidet sich die eigenwillige Prinzessin Ann kurzerhand für einen, der offiziell gar nicht auf der Bewerberliste steht: Jakob, den Hofkoch des Königshauses „Nebenan“. Was keiner weiß: Der vermeintliche Hofkoch ist in Wirklichkeit Prinz Ferdinand von Nebenan (Paul Csitkovics), der mit seinem Koch (Pedro Reichert) die Rol-len getauscht hat.

Die Verlobten machen sich auf den Weg nach „Nebenan“, und unterwegs stellt Ann fest, dass in dem Königreich große Unzufriedenheit mit dem Re-genten Prinz Ferdinand herrscht und merkt, dass sie selbst eigentlich doch zum Regieren gemacht ist. Gleichzeitig merkt Ferdinand alias Jakob, dass er sehr gut Unterstützung und „Nachhilfe“ bei den Amtsgeschäften gebrau-chen könnte. Trotz des Lügengespinstes raufen sich die beiden zusammen – ausgerechnet in der Hofküche, in der „Jakob“ nichts auf die Reihe be-kommt, Ann aber das zeigen kann, was ihre eigene Hofköchin ihr beige-bracht hat. „Wir machen es zusammen“ lautet das Gebot der Stunde.

Im Königreich „Ohne Fehl und Tadel“ merkt man indes, dass der angeblich so kochbegabte „Prinz“, also Hofkoch Jakob, etwas zu verbergen hat. Sein Pendant am Hof, Köchin Berta (Anne Hoth), die mit beiden Beinen fest auf der Erde steht und auch am Einsatz von Maggikraut, Tütensuppen und Fertigmischungen nichts kochmoralisch Verwerfliches findet, kommt ihm auf die Schliche. Jakob erzählt ihr die ganze Geschichte – und die beiden ver-lieben sich ineinander. Auch Ann und Ferdinand trifft Amors Pfeil, und so gibt es ein großes, glückliches Finale, das übrigens den Zuschauern vorher in bester Varieté-Manier auch so angekündigt wird.

Ein paar Highlights aus einem Musical, das randvoll ist mit besonderen Ideen und Momenten und mit Menschen, die es besonders machen: Die Musik bietet eine Vielfalt von Walzer bis zu Liedern im Stil der Neuen Deut-schen Welle und reißt immer mit. Das Musical kommt ohne Herzschmerz-Balladen aus (was in anderen Inszenierungen natürlich vollkommen in Ordnung ist, aber hier fehl am Platze wäre) und schafft es, auch ernstere Themen musikalisch so zu verpacken, dass es nicht sentimental wirkt (Libretto: Peter Lund, Komposition: Wolfgang Böhmer, musikalische Leitung: Tobias Deutschmann, Dominik Franke). Die Live-Band, die wieder komplett sichtbar ist, setzt das Konzept gekonnt und auf den Punkt um, die Darsteller beweisen durch die Bank, dass sie etwas von ihrem Fach verstehen.

Die Königsfamilie „von Ohne Fehl und Tadel“ ist so modern wie man nur sein kann: Alleinerziehende Mutter mit Vollzeitjob, drei Töchter im schwierigen Alter. Die Zwillinge Prinzessin Cindy und Prinzessin Rosie (Shireen Nikolic und Ira Theofanidis) sind so anstrengend, dass man Königin Bianca eine Eltern-Selbsthilfegruppe empfehlen möchte, und mit so witzigen Dialogen in Szene gesetzt, dass es eine Freude ist. Die Königin selbst (Char-lotte Heinke) besticht durch ihre Kraft, durch Selbstironie und Selbstver-trauen, macht aber auch keinen Hehl aus ihrer Frustration über ihre undankbare Rolle. Witzig: Andeutungen über ihre „Liebesvergangenheit“. Un-bedingt genießen: Die Szene auf dem Weg der Verlobten ins Königreich „Nebenan“, in der die sieben Zwerge (ja, genau DIE sieben Zwerge!) unzu-frieden von ihrem Leben erzählen. Durch Tempo, Witz und gesangliches Können ein Highlight.

Generell sind die Querverweise auf andere Märchen (Schneewittchen, Pinocchio, Zwerg Nase) eine Bereicherung und nicht störend. Die Varieté-Umgebung wirkt vielleicht anfangs etwas befremdlich, ist aber eine runde Sache: Bühnenbild (Hans Winkler), Ausstattung, Kostüme (Anke Küper und Kerstin Laackmann) und Maskenbild (Wiebke Quenzel) schaffen ein Ge-samtbild, das sich hinter den Revuen der 20er nicht zu verstecken braucht. Die Kostüme der Frauen sind ein bisschen sexy und leicht verrucht, ohne sichtbares Schischi und wandlungsfähig. In bester Manier der reisenden Bühnen der damaligen Zeit finden Kostümwechsel auf der Bühne statt.

Regisseur Christoph Drewitz (Choreographie: Bart de Clercq) hat mit seinem Ensemble ein Musical „Drosselbart!“ geschaffen, das Lust macht auf dieses Genre, gerade auch bei Menschen, die es sonst nicht so mit diese Sparte haben. Es greift Themen auf, die die Gesellschaft heute umtreiben, verteilt ironische Seitenhiebe, moralisiert aber nicht, schafft mit leichter Hand Tiefe und ist alles, aber nicht gewöhnlich. „Drosselbart!“ ist Unterhaltung und noch viel mehr.

Bericht: Britta Hoffmann-Mumme

Foto: Brüder Grimm Festspiele / Hendrik Nix

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