(ms/ea) – Mit einer spontanen Blockade des ALDI-Zentrallagers in Langenselbold haben rund 50 Landwirte aus der gesamten Region mit ihren Traktoren am Sonntagabend gegen die ruinöse Preispolitik der Discounter protestiert. Die bäuerliche Landwirtschaft wird dadurch zunehmend vernichtet. Angesichts drohender Lieferkettenunterbrechungen aufgrund der Corona-Pandemie sollte dagegen jedem bewusst sein, wie wichtig die inländische Lebensmittelerzeugung ist.
Gegenüber Erlensee Aktuell machten die Landwirte vor Ort deutlich, dass vom gegenwärtigen Milchpreis die bäuerlichen Erzeuger gerade einmal 28 bis 30 Cent pro Liter bekommen, 45 Cent wären dagegen notwendig, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Für Mastschweine werden etwa 110 Euro gezahlt, was einen Verlust von rund 50 Euro für den Landwirt pro Tier bedeutet. Das treibt natürlich über kurz oder lang jeden Betrieb in den Ruin.
Besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie verwiesen die Landwirte auf die enorme Bedeutung einer inländischen Lebensmittelerzeugung. Bei der Unterbrechung von Lieferketten wird die Abhängigkeit vom Ausland zunehmend gefährlich.
Gefordert werden unter anderem einheitliche Erzeugerstandards, mindestens EU-weit.
„Man muss sich einmal bewusst machen, dass gerade die bäuerliche Erzeugung von Lebensmitteln auch dem Klima hilft. Wir fahren keine Lebensmittel quer über den Globus und wegen uns werden auch keine Tropenwälder gerodet. Wie wichtig und auch lebensnotwendig die bäuerliche Landwirtschaft ist, sollte man nicht erst merken, wenn es keine Höfe mehr gibt. Dann ist es zu spät“, so die Landwirte gegenüber Erlensee Aktuell.
„10 Thesen der deutschen Landwirtschaft“ haben die Landwirte vor Ort übergeben und sind nachfolgend in voller Länge aufgeführt. Jeder sollte sich in den nächsten Tagen, in denen die Freizeitaktivitäten aufgrund der Corona-Verordnungen eingeschränkt sind, einmal die Zeit nehmen, um die Thesen in Ruhe zu lesen und sich auch beim nächsten Einkauf daran erinnern:
Die zehn Thesen der deutschen Landwirtschaft
1. Wir sichern die Ernährung der Bevölkerung.
2. Wir erzeugen alle Lebensmittel nach höchsten deutschen Standards.
3. Wir schützen unser Wasser und den Boden.
4. Wir erhalten und bewahren die Kulturlandschaft.
5. Wir sorgen für Lohn und Brot in Stadt und Land.
6. Flächenverbrauch gefährdet die Nahrungsmittelerzeugung.
7. Wir können nicht von unserer Hände Arbeit leben.
8. Wir Landwirte werden gezielt ausgegrenzt.
9. Heimische Lebensmittel dürfen nicht durch Importe ersetzt werden.
10. Es kann nur in Frieden und Wohlstand leben, wer genug zu essen hat.
Der gesicherte Zugang zu ausreichend Nahrung ist seit jeher der Garant für Frieden, Wohlstand und Fortschritt. Über 600 Millionen Menschen auf der Welt wird dieses Privileg nicht zu teil. Wir kennen nur noch aus Erzählungen unserer Eltern oder Großeltern was es heißt, Hunger zu haben. Haben wir vergessen, was sie uns zu erzählen haben? Nach dem zweiten Weltkrieg waren es die Bauern in unserem Land, die mit Fleiß, Leidenschaft und harter Arbeit dafür gesorgt haben, dass die Menschen in diesem Land genügend zu essen haben. Nicht zuletzt dadurch kennen wir Bilder von verhungernden Kindern und Plünderungen glücklicherweise nur aus dem Fernsehen. Anfangs reichte es nur für das nötigste. Aber wir Bauern wurden und werden immer besser. Auf immer weniger Fläche sorgen wir für immer mehr Menschen für eine immer größer werdende Vielfalt auf den Tellern. Qualitativ hochwertig und ökologisch nachhaltig, wie es sonst nirgends auf der Welt möglich ist. Dadurch entstand, im Laufe vieler Generationen, die Kulturlandschaft, wie wir sie heute kennen. Natürlich und ursprünglich ist diese schon lange nicht mehr. Wir alle haben dazu beigetragen Dadurch ist es uns möglich, in einer der wirtschaftlich gesündesten Volkswirtschaften der Welt zu leben.
Niemand der nicht weiß, was seine hungrigen Kinder am nächsten Tag essen sollen, käme auf die Idee sich damit zu beschäftigen, wie man den Verbrennungsmotor noch effizienter gestalten kann. Beispiele gibt es viele, was alles erst möglich wird, wenn die Sorge vor Hunger aus dem Leben verschwindet. Anstatt anzustreben, dass diese Sicherheit in der Versorgung erhalten und gefördert wird, werden Gründe an den Haaren herbeigezogen, um immer neue und schärfere Gesetze, Verordnungen und Beschränkungen herbeizuführen. Eine wissenschaftlich basierte Ermittlung von Ursachen oder Überprüfung von Wirksamkeit bleibt meist aus. Dabei entsteht, im Gegensatz zu vollmundigen Lippenbekenntnissen, der Eindruck, die Landwirtschaft in Deutschland ist für die Versorgung der Bevölkerung unerwünscht.
Wollen wir wirklich, dass wir bei so wichtigen Dingen wie Nahrungsmitteln abhängig von Importen werden? Wollen wir uns wirklich dem Wohlwollen anderer Länder preisgeben? Wie viele politisch stabile Regionen entwickeln sich in kurzer Zeit zu Krisengebieten? Wollen wir uns davon abhängig machen? Verstehen sie das unter Verantwortung für die Menschen in unserem Land zu übernehmen? Wir leben, arbeiten und wirtschaften in einem europäischen Staatenbündnis. Damit dies gelingt, erfordert es gewisse Regeln. An diese Regeln müssen sich alle halten. Das ermöglicht uns einen freien Handel innerhalb Europas. Über Ländergrenzen hinweg. Davon profitieren wir alle. Leider sind diese Regeln nicht für alle gleich. EU-Weit geltende Standards können von einzelnen Ländern noch verschärft werden. Damit gönnen sich diese Länder ein Extra an scheinbarem Umwelt- und Verbraucherschutz. Fachlich zu begründen ist dies häufig nicht. Vielmehr ist dies durch idiologisch geprägtem Populismus getrieben. Anstatt die richtigen Entscheidungen populär zu machen, werden falsche Entscheidungen getroffen, nur weil sie bereits populär sind. Dadurch prasseln eine Vielzahl an Regelungen, Auflagen und Beschränkungen auf die Unternehmen in Deutschland ein. Wir Landwirte sind dadurch in besonderem Maße betroffen. Wir sind nicht gegen Umweltschutz. Jeder, der sich schon einmal mit dem Generationengedanken, den wir Landwirte aktiv leben, befasst hat, sollte verstehen, dass es in unserem ureigenstem Interesse liegt, unseren Kindern und Enkeln eine Umgebung zu hinterlassen, die es auch ihnen ermöglicht, im heimischen Land hochwertige Lebensmittel zu erzeugen. Dazu gehören auch und gerade der Schutz von Boden und Wasser. Unser Wasser stellt für uns alle eine unersetzliche Lebensgrundlage dar.
Wir leben in einem der wenigen Ländern der Welt, in dem man Leitungswasser Bedenkenlos aus dem Wasserhahn trinken kann. Ohne aufwändige Aufbereitung. Das liegt ganz sicher nicht daran, dass wir Bauern verantwortungslos mit Dünge- und Pflanzenschutzmitteln umgehen. Wir alle haben gelernt, was wir tun. Ein übertriebener Einsatz dieser Mittel ist nicht nur unnötig, sondern kostet uns auch noch mehr Geld als es bringt. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte sind die durchschnittlichen Erträge kontinuierlich gestiegen. Bei gleichzeitig immer geringerem Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln. Das wäre nicht möglich, wenn wir, wie uns oft vorgeworfen wird, unser Wasser vergiften und unsere Böden überstrapazieren oder auslaugen.
Wer sich ein Extra, gleich welcher Form, leisten möchte, muss auch bereit sein, dafür zu zahlen. Beim Kauf eines PKW wird ein Aufpreis für eine gewünschte zusätzliche Ausstattung gerne in Kauf genommen. Bei Lebensmitteln hingegen wird häufig zum billigsten gegriffen, was im Regal zu finden ist. Zu diesen Ramschpreisen ist aber eine solche Qualität, wie wir sie hierzulande erzeugen nicht machbar. Bedingt durch den freien Handel innerhalb der EU liegen unsere Produkte jedoch genau neben Produkten, die dieses Extra nicht erfüllen. Im Gegensatz zum Auto sieht man es nur nicht auf den ersten Blick. Das Ergebnis dieser fehlgeleiteten Politik sind die Weltweit billigsten Lebensmittel in höchster Qualität, die es ihren Erzeugern nicht einmal ermöglichen, von ihrer harten Arbeit ihre Familien anständig zu ernähren. Ein in Deutschland verkaufter PKW muss die hier geltenden Abgasbestimmungen einhalten. Selbst wenn er in Mexiko gebaut wurde. Warum ist dies bei Lebensmitteln nicht möglich? Ein altes Sprichwort besagt: Hat der Bauer Geld, hat´s die ganze Welt.
Wenn wir Landwirte bauen oder in Maschinen investieren, gehen die Aufträge an Handwerker oder Händler aus der Nähe. Eine Zusammenarbeit über Generationen hat vielfach eine Vertrauensbasis geschaffen, die in der Großindustrie praktisch nicht zu finden ist. Dies schafft und hält Wertschöpfung in den Regionen. Gerade im Mittelstand, der tragenden Säule unserer Gesellschafft. Da dieser Mittelstand, anders als viele global agierende Konzerne, ihre Steuern hier in Deutschland zahlen bildet dies die Grundlage einer gesunden Volkswirtschaft. Wir Bezeichnen uns selbst in vielen Dingen als Vorreiter. Wir streben stets danach immer die ersten zu sein, die etwas besonders gut, sauber oder umwelt- und klimafreundlich zu machen. Aber werden wir diesem Anspruch wirklich gerecht? Wir schaffen bei uns die Energieerzeugung aus Kern- und Kohlekraft ab. Beziehen aber fleißig eben diese Energieformen von unseren Nachbarn. Mit der Förderung der Elektromobilität begünstigen wir eine Form der Rohstoffgewinnung wie sie in fernen Erdteilen unter katastrophalen und menschenunwürdigen Bedingungen betrieben wird. Die dadurch entstandenen Produkte nutzen wir hier dann mit gutem Gewissen. Das ist einfach nur heuchlerisch.
Aus umwelt-, Verbraucher-, und Tierschutzgründen Verzichten wir hier auf bestimmte Methoden in der Erzeugung. Aber verzichten wir auch auf deren Nutzung?
Legehennen in Deutschland werden seit etlichen Jahren nicht mehr in Käfigen gehalten. Und das ist gut so. Gleichzeitig werden aber Hunderttausende von Eiern aus Legebatterien aus Osteuropa importiert. Weil sie für die verarbeitende Industrie einfach billiger sind. Werden sie dann auch noch in Deutschland umgepackt, dürfen diese Eier sogar als deutsche Eier verkauft werden. Den Hühnern haben wir damit ganz sicher nicht geholfen. Weil sie als gefährlich für den Menschen gelten, müssen wir hier auf den Einsatz gewisser Präparate vollständig verzichten.
Das tun wir gerne!
Unsere und eure Gesundheit ist uns wichtig. Bei Lebensmitteln, die wir aus dem Ausland importieren, gelten für eben diese Präparate lediglich Grenzwerte für Rückstände. Eine Anwendung ist dort also nicht nur zulässig, diese Rückstände dürfen sogar mit verzehrt werden. Sind die also gar nicht so gefährlich? Oder nehmen die politischen Entscheidungsträger ihre Führsorgepflicht doch nicht so ernst, wie sie es uns immer glauben lassen wollen? Wir sehen uns selbst als Vorreiter hinsichtlich Umweltschutz und Tierschutz. Zu dieser Vorreiterrolle gehört es aber auch, Verantwortung zu übernehmen, für die Art zu leben, die wir uns gönnen. Wir können und dürfen uns hier nicht unter einer grünen Glocke verstecken und die Augen davor verschließen, welche Konsequenzen unser Verhalten in anderen Erdteilen hat. In Südamerika wird der Regenwald, die grüne Lunge unseres Planeten, abgeholzt, weil wir uns hier eine Extensivierung von Flächen leisten, von der wir viele Menschen ernähren könnten. Oder kaufen wir den armen Ländern lieber deren Nahrungsmittel vor der Nase weg und fördern dadurch den Hunger auf der Welt? Umweltschutz kennt keine Ländergrenzen. Verantwortung übernehmen sieht anders aus. Wir leben in einem Land mit überdurchschnittlich niedriger Inflation. Ganz ohne kommen aber auch wir nicht aus. Unsere Konsumgüter werden stetig teurer. Grund zur Klage haben deshalb aber nur die wenigsten. Im Gegenzug werden Dinge unseres täglichen Lebens immer günstiger. Dadurch dass wir für Lebensmittel immer weniger Geld ausgeben müssen, bleibt die Kaufkraft erhalten, um sich Konsumgüter leisten zu können. Diese Art der Inflationsbremse funktioniert für die meisten Menschen sehr gut. Die Wirtschaft brummt, der Konsum läuft und die Menschen sind zufrieden. Für uns Landwirte hat dies jedoch dramatische Folgen. Während wir für unsere Produkte immer weniger erlösen, müssen wir für Dinge unseres Bedarfs immer mehr bezahlen. Das zwingt uns zu immer größeren Produktionseinheiten, um für uns überhaupt noch etwas übrig zu haben. Die Grenzen des Wachstums sind vielerorts jedoch erreicht oder sogar schon überschritten. Große und moderne Produktionseinheiten in der Landwirtschaft sind gesellschaftlich unerwünscht. Während in der Industrie jede Form des Fortschritts als großartige Errungenschaft gefeiert wird, sollen wir Landwirte am besten Arbeiten wie vor 80 Jahren. Aber nicht so dreckig bitte. Und ohne, die Tiere anzubinden.
Vermögende Menschen suchen immer häufiger sichere und wertbeständige Anlagen für ihr Kapital. Und haben Grund und Boden für sich entdeckt. Als Wertanlage werden dort Preise aufgerufen, die für uns, die wir davon leben und damit arbeiten müssen angesichts der ruinösen Preise schlicht nicht möglich sind. So geht uns neben der Flächenversiegelung noch viel mehr Fläche verloren. Das Grundstücksverkehrsgesetz, dass eine solche Entwicklung eigentlich verhindern soll, ist dabei nahezu wirkungslos. Bauernland gehört in Bauernhand. Für scheinbar jede negative Entwicklung wird direkt oder indirekt die Landwirtschaft verantwortlich gemacht. Luft- und Wasserverschmutzung, Artenrückgang und noch vieles mehr. Für all dies wird in erster Linie die Landwirtschaft als Hauptverantwortlicher ausgemacht. Dass die gesamte Gesellschaft ökologisch über ihre Verhältnisse lebt, wird dabei völlig außer Acht gelassen. Man hat ja einen Schuldigen gefunden. Und das wird breit kommuniziert. Auf allen Kanälen. Politik, Medien, NGO´s… selbst an Schulen wird diese einseitige Schuldzuweisung vermittelt. Wir werden beschimpft, beleidigt und diffamiert. Unsere Kinder werden in den Schulen gemobbt und kommen weinend nach Hause. Oder gehen gar nicht erst hin. Auf diese Weise entfernen wir uns immer weiter von der Gesellschaft. Ohne, dass wir es wollen. Wir haben in unserem Land eines der besten Sozialsysteme der Welt. Ein System, an dem wir Landwirte nur eingeschränkt teilhaben können. Das System der Altersrente schließt uns praktisch aus. Stattdessen ist es gängige Praxis, dass der Hoferbe die alte Generation auf dem Hof mitversorgt. Wir denken schon immer in Generationen.
Aber wovon soll das finanziert werden, wenn man doch selbst am oder unter dem Existenzminimum lebt? Beihilfe gibt es nicht. Wollen wir auch nicht. Als Subventionsempfänger werden wir auch nicht gerne bezeichnet. Angemessene Preise für unsere Produkte sind uns viel lieber. Auch unsere Eltern und Großeltern werden immer älter. So finden wir auf den Höfen oftmals gleich zwei Generationen Altenteiler. Und nur einen Hofnachfolger, der nicht weiß, wie er alle versorgen kann. Jeder Schulabbrecher hat Anspruch auf eine Grundversorgung. Für Landwirte, die Ihr Leben lang hart gearbeitet haben, um unsere Teller zu füllen, soll das nicht möglich sein? Sicher ist die Erzeugung von Nahrungsmitteln nicht so Prestigeträchtig wie unsere großartige Industrie. Eine Industrie, die mittlerweile zu einer Veredlung verkommen ist. Es werden Rohstoffe oder ganze Komponenten aus dem Ausland zugekauft, hier montiert und dann zu sehr viel höheren Preisen wiederverkauft. Das schafft Image und eine Volkswirtschaftliche Leistung, um die uns viele beneiden. Das schafft aber auch Abhängigkeiten von internationalen Märkten. Sowohl beim Rohstoffeinkauf als auch beim Absatz. Durch unsere stark auf den Export ausgerichtete Industrie sind wir abhängig von der Kaufkraft anderer Länder. Indem wir deren Agrargüter kaufen schaffen wir dort Kaufkraft, um unsere Industrieprodukte verkaufen zu können. Wollen wir uns wirklich abhängig von Lebensmitteln aus dem Ausland machen, um unsere Abhängigkeit im Bereich der Industrie weiter auszubauen? Das ist unverantwortlich und sehr kurzfristig gedacht.
Bericht und Fotos: Markus Sommerfeld