Geistlicher Impuls zum Passionssonntag

Pfarrer Andreas Weitzel richtet Gedanken zum Passionssonntag an alle Gläubigen.

Jesu Er-leiden (Passio=Passivität) ist genauso wichtig wie seine Taten und Worte (Aktio=Aktivismus)

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

Jesus wirkte Wunder; viele Wundererzählungen kennen wir aus den Evangelien. Jesus hatte auch gute und entscheidende Worte an seine Zuhörer gerichtet und damit auch an uns und an die ganze Menschheit. Taten und Worte machten sein Wirken aus, mit dem Zusatz: Seine Taten und Worte sind sogar heute noch wirksam in unserer Zeit.

Bei allen Taten und Worten, die heute noch aktuell sind, dürfen wir folgendes nicht vergessen: Was er er-duldete, er-lebte und er-litt, gehört genauso zu seiner immer noch aktuellen und wirkkräftigen Botschaft, wie seine Worte und Taten!

Heute ist der Passionssonntag. Dieser Sonntag ruft uns auf, das in den Blick zu nehmen, was Jesus widerfuhr und erlitt, was ihm also zur „Passion“ wurde. Das Wort „Passion“ klingt nach Passivität. „Passion“ scheint das genaue Gegenteil von „Aktivität“ zu sein. Ist das so?

Die Evangelisten sahen das ganz anders. Selbst in den Kreuzesstunden Jesu schilderten die Evangelisten Jesus als den souverän Handelnden. Jesus bestimmte sogar den Zeitpunkt seines aktiven Leidens. Das war ihm schon ganz am Anfang seiner öffentlichen Tätigkeit bei der Hochzeit von Kana bewusst, als er zu seiner Mutter sagte: „Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“

„Er-leiden“, das war eine Fähigkeit von Jesus; damit war er vertraut, sodass man über Jesus sagen konnte: Er war ein Mann der Schmerzen; mit Krankheit vertraut. Ja, Jesus blieb selbst am Kreuz der Handelnde, während gleichzeitig andere der irrigen Meinung waren, dass nun endlich ihre Stunde gekommen sei. Seine (!) Stunde war es. Auch die Kreuzesstunde bestimmte Jesus selbst.

Sogar die bösesten Taten an ihm konnte er aktiv annehmen. Die anderen führten bloß den Heilsplan Gottes aus und kannten diesen noch nicht einmal. Sie meinten, jetzt das Heft in der Hand zu haben und glaubten, dass sie nach ihren eigenen Plänen handeln würden und dass ihre Pläne sogar aufgehen könnten. – Nichts dergleichen!

Nach dem Leid, nach Ostern, frage der Auferstandene die Emmausjünger: „Musste nicht der Menschensohn all dies (er-)leiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“

Schwestern und Brüder, wir lernen daraus: Jesu Worte sind wesentlich – seine Taten sind wesentlich – seine „Passio“ ist ebenso wesentlich. Das Gute und das Böse an sich geschehen lassen, gehörte zum Wesen Jesu hinzu, genau so wie seine Worte und Taten zu ihm gehörten. Jesus ist gewiss nicht nur Böses widerfahren. Er erlebte es auch, dass man ihm Speise oder Trank gab; man kleidete ihn, nahm ihn auf und man salbte ihn mit teurem Nardenöl.

Unsere Worte sind wichtig – unsere Taten sind wichtig – unser „Er-leiden“ ist ebenso wichtig und unter Umständen noch wichtiger. Das Gute und das Böse, das uns widerfährt, hat durchaus heilsgeschichtliche Bedeutung.

Es kommt nicht auf heroische Taten oder schlaue Worte an. Wir brauchen keine „Glaubens-Aktivisten“ werden, die brav Jesu Taten und Reden aufsagen können. Wir dürfen … ja, wir dürfen „Glaubens-Passivisten“ sein, also Menschen, die ganz und gar Schicksalsgemeinschaft mit Jesus haben.

„Sie haben mich abgelehnt – sie werden auch euch ablehnen.
Sie haben mich aufgenommen – sie werden auch euch aufnehmen.“

Für den christlichen „Otto-Normalverbraucher“ erscheint Jesus nur insofern interessant, wie er Wundertäter oder glänzender Redner war, um dadurch bloß selbst zu profitieren: Ein Wunder nur für mich; ein gutes aufbauendes Wort als Salböl für meine Seele.

Viel interessanter aber sind folgende Fragestellungen:

Wie geschah ihm?
Wie nahm er Gutes und Böses an, Freude und Leid?
Wie nahm er Schicksalsschläge an?
Wie verarbeitete er sie und wie verinnerlichte er sie?

Und:

Wie verinnerlichen wir alles Geschehen – auch das schwere aktuelle Thema Coronavirus?

Im Vater unser beten wir: „Dein Wille geschehe“. Ja, den Glaubensaktivisten klingt auch das zu passivisch. Aber dieses Wort des Vater unser ist Gottes Aufforderung an uns, seinen Heilswillen für uns aktiv anzunehmen; uns zu eigen zu machen. Das Geschehen als Gottes Willen anzunehmen, ist hoch aktiver Glaube! In der Ölbergstunde betete Jesus: „Vater, nicht mein Wille geschehe, sondern dein Wille geschehe.“

Die Menschen unserer Zeit, die dem Zeitgeist zugewandt sind meinen, dass nur Aktivismus zähle: Nur das allein sei wahrnehmbarer und echter Glaube, was man sehen, hören und anfassen kann.

Die edelste christliche Tat ist unsere Schicksalsgemeinschaft mit Jesus. „Macher“ dürfen lernen, weniger aktiv zu sein. Sie dürfen lernen, was wirklich wichtig, notwendig und tragfähig im Leben ist. „Ich zuerst“, das geht nicht mehr. Was ich bin, also mein Sein, ist wichtiger als das, was ich sage oder tue. Für andere aktiv zu werden, das ist dabei ausnahmsweise gute Aktivität und das ist das Gebot der Stunde für die, die zu praktischer Hilfe fähig sind. Aber „Macher“ sind wir nicht, sondern nur Helfer.
„Vielredner“ (auch kirchliche) dürfen lernen, weniger Worte zu machen. Sie dürfen ruhig auch lernen, einfach `mal den Mund zu halten. Wer an „chronischer Mund-Inkontinenz“ leidet, hat sich offenbar ein ganz hartnäckiges Virus eingefangen.

Gott, der in der Stille zuhause ist, hört jedes Gebet, das wir im stillen Kämmerlein für Kranke und für Helfer vor Gott tragen. Wer angesichts des Leids in Aktivismus verfällt und inflationär tolle Ersatzaktivitäten und Ersatzgebete ersinnt, hat wahrscheinlich wenig vom Thema „Er-leiden“ begriffen und weiß offenbar wenig davon, was es heißt, aktiv zu leiden.

Schwestern und Brüder, denken wir daran, ja be-denken wir das Folgende in diesen „Coronazeiten“:

Es kann wirklich Leiden auf uns zukommen! Nehmen wir es gläubig und aktiv an! Gläubig, aktiv und tapfer, so wie Jesus es tat! Wenn die Ölbergstunde auf uns zukommen sollte, dann beten wir bitte wie Jesus: „Dein Wille geschehe!“

Allen Armen, Kranken, Traurigen und Einsamen wünsche ich Gottes begleitenden Segen – und bleiben Sie gesund nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere!

Andreas Weitzel,
Pfarrer

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