(iz/ea) – „Hallo Erlensee“ – gemäß diesem Motto hatte der Erlenseer Ortsverband der „Grünen“ als Hauptredner für den Neujahrsempfang am Freitagabend ein echtes politisches „Schwergewicht“ eingeladen: Omid Nouripour, seit vielen Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages und außenpolitischer Sprecher der Grünen in diesem hohen Haus, gab in seinem interessanten Vortrag einen tiefen Einblick in die derzeitigen Probleme unserer Gesellschaft weltweit.
Zuvor hatte Dieter Nentwig als einer der beiden Erlenseer Grünen-Vorsitzenden den Empfang in der Fallbachhalle mit der Begrüßung aller Anwesenden eröffnet und an die gut 80 Gäste einige Worte zu den aktuellen Problemfeldern Klimakatastrophe und Bedrohung durch Rechtspopulisten- und radikale gerichtet.
Im Anschluss gab Renate Tonecker-Bös als zweites Mitglied der Grünen-Doppelspitze einen kurzen Rückblick auf das zurückliegende Jahr, in dem die Grünen bei der EU-Wahl 18% und sie selbst bei der Bürgermeister-Wahl 20% erreichen konnten.
Die Fraktionsvorsitzende ging in ihrer Rede zudem auf die zurückliegenden Fusionspläne zwischen Erlensee und Neuberg und das negative Votum hierzu bei der Bürgerabstimmung ein. „Es war eine aufregende Sache, die dann aber wohl auch an der Befürchtung mancher Einwohner, vielleicht die eigene Identität zu verlieren, gescheitert ist“, meinte die Grünen-Vorsitzende in ihrem Rückblick. Nach einer Vorausschau auf die für Erlensee aktuell anstehenden Aufgaben, etwa in Sachen Klimaschutz, Bildung und 50er-Jubiläum von Erlensee, gab Renate Tonecker-Bös das Mikrofon weiter an den Hauptredner des Abends.
Omid Nouripour, der im Iran geboren wurde und schon in früher Jugend mit seiner Familie nach Frankfurt kam, hatte für seinen interessanten Vortrag den Titel „Die Welt aus den Fugen – und was das für uns in Deutschland bedeutet“ gewählt, gab aber zunächst einen kurzen Rückblick auf die Gründung der „Grünen“ vor 40 Jahren sowie die wichtigsten Gründe hierfür wie etwa Umweltschutz, Bürgerrechte und Anti-Atomkraft-Bewegung. In Sachen Klimapolitik würde Deutschland im Inneren hinterher hinken, meinte Nouripour; mit den derzeitigen Regelungen könnten die als Ziel gesetzten Termine für eine grundlegende Änderung wohl nicht gehalten werden. Diese Beobachtungen würden in seinen Augen aber auch für die restliche Welt gelten, in der klimapolitisch vieles in Argen liegen würde, ergänzte der Bundestagsabgeordnete und erwähnte als Beispiel die Auswirkungen der massiven Brandrodung im Amazonas-Regenwald.
Zum Thema Bürgerrechte erwähnte Nouripour die in Deutschland nach langem Ringen erreichte Gleichstellung aller Bürger. „Wir haben zumindest rechtlich erreicht, dass es keine Diskriminierung von Andersfühlenden oder -denkenden mehr gibt“, zeigte sich der Redner zufrieden, mahnte aber auch die Einhaltung und den gesellschaftlichen Schutz des hier Erreichten an. Man müsse eben auch bereit sein, für die Bürgerrechte zu kämpfen wie etwa seinerzeit Martin Luther King, zu dessen berühmter „I have a dream“-Rede Nouripour eine weitgehend unbekannte Anekdote über den Ursprung des Satzes zum Besten gab. Das Wort Bürgerrechte würde für Deutschland aber auch bedeuten: Gleiches Geld für gleiche Arbeit; auch hier hätte die Politik noch einiges zu tun.
Einen weiteren Raum in der Rede nahm das Problem Hass und Hetze gegen politisch aktive Bürger ein; er selbst würde zwei bis drei Hass-Mails in der Stunde erhalten. Gegen solche Anfeindungen, insbesondere über die sozialen Medien, müsse die demokratische Gesellschaft vorgehen; gerade diejenigen, die sich ehrenamtlich um die Politik und das Zusammenleben aller Bürger kümmern, müssten vor solchen Angriffen geschützt werden. In diesem Zusammenhang wären die auch in Deutschland in den Medien verbreiteten und – im wahrsten Sinne des Wortes – unglaublichen Fake-News, mit denen sich ganze Massen zu einer beabsichtigen Reaktion animieren lassen, eine sehr bedenkliche Entwicklung, die gestoppt werden müsse.
Nach einem kurzen Schwenk zur Atom-Politik und der Tatsache, dass die sich in Auflösung befindlichen, aber für Europa lebenswichtigen Atom-Abkommen auch eine Folge der Friedensbewegung auf der Straße waren, ging Nouripour auf die Weltlage ein und warf hierbei zunächst den Blick auf China. „In der europäischen Außenpolitik sollte das Hauptaugenmerk auf diesem Land mit seiner expansiven Wirtschaftspolitik liegen“, meinte der außenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag mit einem leichten Stirnrunzeln. In vielen Bereichen würde China etwas vormachen, was eigentlich bedenklich sei; jedoch würden alle anderen hinterher rennen, um augenscheinlich ja nichts zu verpassen.
In Sachen Außenpolitik zeigte sich Nouripour von dem seiner Meinung nach recht farblosen Wirken des aktuellen Außenministers Maas beim Krisenmanagement enttäuscht. „Ex-Außenminister Steinmeier hat in einer aufkommenden kritischen Lage einfach Gas gegeben und ist direkt an den Brennpunkt geflogen, um dort mit den Leuten zu sprechen, auch wenn diese eigentlich schrecklich waren.“ Als ein bedenkliches Problem sieht der Bundestagsabgeordnete das Verhältnis zwischen Deutschland sowie der EU und den USA an. Allein die Aufkündigung des Atom-Abkommens sei sicherheitspolitisch ein Unding, das auch Europa gefährde; in dieser Sache und auch auf wirtschaftlicher Seite müsse man den Amerikanern und ihrer Regierung die Zähne zeigen. Für den Fortbestand von Europa und das sorgenfreie Leben aller Bewohner wäre es allerdings schon erforderlich, dass die hierfür politisch Verantwortlichen in ihrem Engagement etwas Herzblut vergießen würden.
Letzter Punkt im außenpolitischen Teil seiner Rede waren die Lebensverhältnisse der Kinder in vielen Teilen der Welt. „Die ersten Opfer eines Krieges sind immer die Kinder, egal wo sich das Ganze abspielt“, gab er seine Beobachtungen während vieler Reisen in die Krisengebiete wider. Aktuell würde sich ein solches Drama im Jemen abspielen, wo die Kinder durch Hunger und Gewalttätigkeiten in Gesundheit und Leben bedroht wären. Eine solche in der Kindheit erfahrene Traumatisierung führe im späteren Leben zwangsläufig zu eigenem Hass und Gewalt. Daher sei eine entsprechende psychologische Behandlung dieser belasteten Kinder, die im Übrigen erheblich mehr Erfolg verspreche als bei Erwachsenen, immens wichtig.
Am Schluss seiner Rede, für die er langen Beifall aller Anwesenden entgegennehmen konnte, erhielt Omid Nouripour von Renate Tonecker-Bös und Dieter Nentwig ein kleines Dankeschön.
Während sich die Gäste des Neujahrsempfangs im Anschluss den vegetarischen oder veganen Genüssen des bereitgestellten Buffets widmeten und viele Gespräche miteinander führten, stand der Hauptredner noch für den einen oder anderen Smalltalk zur Verfügung. Unter anderem wurde er gebeten, einen Satz zur von ihm heiß geliebten Frankfurter Eintracht zu sagen. „In siebzehn Spielen jeweils drei Punkte machen, das ergibt dann insgesamt 68 und – wir wären Deutscher Meister!“, lachte Nouripour. „Allerdings müssen wir morgen in Hoffenheim gewinnen, sonst wird das nix!“
Auf dem Titelfoto: Omid Nouripour gab einen tiefen Einblick in die schwierige Welt-Lage und was dies für Deutschland bedeutet
Bericht und Fotos: Ingbert Zacharias