Bürgermeisterkandidatin Renate Tonecker-Bös (Bündnis 90/Die Grünen) im Erlensee Aktuell-Interview

Die Reihe der Interviews zur Bürgermeisterwahl am 8. September 2019 in Erlensee wird heute mit Bürgermeisterkandidatin Renate Tonecker-Bös (Bündnis90/Die Grünen) beendet.

Welches ist Ihr stärkstes Motiv, sich für das Amt des Bürgermeisters zu bewerben?

Ich möchte mit meiner Kandidatur grüne Inhalte und Ideen mehr in den Vordergrund rücken. Im Erlenseer Stadtparlament hat die Fraktion der Grünen lediglich drei Sitze. In Zeiten des Klimawandels hat sich jedoch die Wahrnehmung der Bevölkerung spürbar verändert, so dass wir eigentlich stärker sein müssten. Eine Vertreterin der Grünen als Bürgermeisterin wird von vielen gewünscht, damit auch die Aufmerksamkeit für grüne Themen wächst.

Ich persönlich finde es spannend, mich einer solchen Herausforderung zu stellen, sowohl im Wahlkampf als auch als Bürgermeisterin.

Welche Kenntnisse und Fähigkeiten sollte ein Kandidat mitbringen?

Er oder sie muss auf jeden Fall kommunikationsstark sein und das Ohr am Bürger haben, also die Bereitschaft besitzen, zuzuhören. Die eigene Position sollte dabei aber auch klar vertreten werden können. Außerdem sollte allgemeines Verständnis von kommunalem Geschehen vorhanden sein, um die Rahmenbedingungen gestalten zu können.

Warum sollen sich die Wähler gerade für Sie entscheiden?

Weil Erlensee dringend einen neuen Weg gehen und sowohl lebenswerter als auch ökologischer werden muss. Nach 18 Jahren im Amt des Bürgermeisters ist es sehr schwer, einen neuen Weg einzuschlagen. Mein Weg sieht so aus, dass ich in erster Linie für die Bürger da sein werde, ob Kinderbetreuung oder Vereine, alles, was die Bürger direkt betrifft, genießt bei mir oberste Priorität. In der Verwaltung ist für mich wichtig, dass jeder sein eigenes Potential entfalten kann. Ich werde außerdem zu allen im Stadtparlament vertretenen Parteien in gutem Kontakt stehen und jeden Stadtverordneten ernst nehmen. Auf einen wertschätzenden und respektvollen Umgang werde ich sehr achten, um nur einige Dinge meines Weges zu beschreiben.

Welche drei Themenfelder sind für Sie vorrangig?

Soziales Miteinander:

Dazu gehören unter anderem ausreichender Wohnraum, Kita- und Hortplätze sowie die Unterstützung der Vereine, kurz gesagt: dass jeder hier gut und gerne leben kann.

Ökologie:

Wir müssen unseren Beitrag zum Klimawandel erkennen und entsprechend handeln. Die Anwendung von Glyphosat muss verboten werden. Erlensee soll Klimaschutzkommune werden. Dazu gehört auch, dass Erlensee eine fahrradfreundliche Stadt mit sicheren und guten Wegen werden soll.

Alles, was das Leben lebenswert macht:

Erlensee soll schöner und attraktiver werden und auch das Kulturangebot ausweiten.

Zitat: „Die Vielfalt des Einzelhandels hat in den letzten Jahren stark abgenommen. In der Friedrich-Ebert-Straße bekommt man beispielsweise nur noch die Spiegel abgefahren.“ – Haben Sie Ideen, unter anderem am Beispiel der Friedrich-Ebert-Straße, wie man die Entwicklung stoppen oder umkehren kann?

Wir haben in den letzten Jahren viel verloren, wobei wir aber auch selbst Schuld tragen. Ich würde gerne ein Stadtmarketing aufbauen, mit dem unter anderem die Stadt Beratungen für Bürger und Gewerbetreibende anbieten soll. Beispielsweise haben wir für den periodischen Bedarf genügend Anbieter, für den aperiodischen, wie z.B. Schuhe und Bekleidung, sind jedoch kaum Geschäfte vorhanden. Um den Rathausplatz herum möchte ich gerne kleinere Geschäfte ansiedeln. Manches, wie zum Beispiel die Friedrich-Ebert-Straße als Einkaufsstraße, können wir jedoch leider nicht mehr hinbekommen. Dringend ist in diesem Zusammenhang aber auch der Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs, denn gerade ältere Bürgerinnen und Bürger sind beim Einkauf auf diesen stark angewiesen.

Zitat zum Thema Klimawandel: „Es wird immer heißer und trockener, und in Erlensee wird alles zugepflastert.“ – Haben Sie Vorschläge, städtische Wärmeinseln zu verhindern oder abzumildern? Welchen Beitrag sollte Erlensee leisten, den CO2-Ausstoß zu verringern?

Jeder ist persönlich selbst verantwortlich, seinen eigenen Beitrag hier zu leisten. Aber auch die Kommune trägt eine große Verantwortung. Für das Stadtgebiet halte ich Bäume für sehr wichtig, sie spenden Schatten, vermeiden dadurch auch das Aufheizen des Bodens und verhindern so Wärmeinseln und verbrauchen zudem CO2.

Überall, wo es möglich ist, sollen Photovoltaikanlagen sowie kleinere Windräder auf den Dächern installiert werden, insbesondere auf öffentlichen Gebäuden. Dazu ist es nötig, umfassende Informations- und Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir müssen als Stadt alle nötigen Bedingungen dafür schaffen. Wir können es uns nicht leisten, es uns nicht zu leisten.

Brauchen wir ein Dokumentationszentrum Fliegerhorst?

Nein. Ich bin zwar sehr an Geschichte interessiert und finde es sehr wichtig, geschichtliches Bewusstsein zu vermitteln. Aber die hohen Kosten eines Dokumentationszentrums sind es nicht wert. Wenn so etwas eingerichtet werden soll, dann im Verbund mit Hanau, Wolfgang und Erlensee. Ich bin ein großer Fan der Gedenkstätte Point Alpha. Im Vergleich dazu wäre ein Dokumentationszentrum im Fliegerhorst leblos.

Zitat: „Der Verkehr nimmt immer mehr zu. Wenn der Gewerbepark an die Kreisstraße zwischen Erlensee und Langenselbold angeschlossen wird, dann fährt alles, was nach Hanau will, durch Rückingen, und zwar unabhängig von Lidl. Alte und behinderte Menschen haben es in der Rush Hour jetzt bereits sehr schwer, die Leipziger Straße zu überqueren.“ – Was sagen Sie dazu?

Diese Befürchtungen kann ich nachvollziehen. Wir müssen auf alle Fälle alles dafür tun, dass die LKW die Ortsdurchfahrt meiden. Dazu werde ich mich als Bürgermeisterin sehr einsetzen und mich konfrontativ mit den zuständigen Behörden auseinandersetzen. Denn gerade die Überquerung der Leipziger Straße ist ein großes Thema. Zebrastreifen und Bedarfsampeln müssen installiert werden. Das ist das, was ich unter lebenswerter Stadt verstehe, gerade hier auch für ältere und behinderte Menschen. In anderen Kommunen geht es bekanntlich auch.

Gefällt Ihnen das Stadtbild?

Nein. Es gibt natürlich wunderschöne Bereiche, wie zum Beispiel die Parkanlage am alten Friedhof und den Calaminus-Park, der aber leider zu wenig belebt ist. Auch die Fallbachstraße wurde schön gestaltet. Im Stadtteil Rückingen ist der Bereich um die Kirche und auch der Friedhof sehr schön. Gut gestaltet ist auch der Bereich in der und um die Seniorenwohnanlage Haus Rosengarten, aber auf dem angrenzenden Rathausplatz fehlen Bäume. Man könnte hier eventuell auch einmal eine Skulptur aufstellen, an der man verweilen kann und auch mal als Anregung zum Lachen oder Nachdenken dient.

Aber vieles andere im Stadtgebiet ist trist. Natürlich musste vor dem Hintergrund der Haushaltskonsolidierung zunächst darauf verzichtet werden, Begleitgrün zu pflanzen, aber das sollte jetzt anders werden. Die Leipziger Straße ist eine einzige Katastrophe aufgrund nicht vorhandenen Grüns. Der einzige Wald, der dort wächst, ist der Schilderwald. Auch der Bereich Bogenstraße/Bruchköbeler Straße muss endlich ansprechend gestaltet werden. Kein großes finanzielles Thema sollte auch sein, die Gestaltung der Kreisel so vorzunehmen, dass diese ein Hingucker werden. Der Anblick der Friedrich-Ebert-Straße hat sich übrigens aufgrund der Anwohner wieder gebessert, die ihre Häuser wieder ursprünglich herrichten und das Fachwerk betonen.

Zitat: „Trotz der Ansiedlung von Firmen und der damit verbundenen Vernichtung von Grünflächen sind die finanziellen Möglichkeiten der Stadt weiterhin enorm eingeschränkt. Es wurden keine hochwertigen Arbeitsplätze geschaffen.“ – Ihre Meinung dazu?

Diese Aussagen höre ich öfter und ich teile diese. Wir haben überwiegend Logistiker, die nicht einmal fest angestellte Fahrer haben, sondern sich Subunternehmern bedienen. Die Großmetzgerei Brandenburg wird wohl auch nicht der große Brüller werden. Was fehlt, sind kleine Start up-Unternehmen und eine Kreativszene. Daher plädiere ich für eine grundlegend andere Wirtschaftsförderung. Vorstellen könnte ich mir beispielsweise, die alte GAST in der Ravolzhäuser Straße für die Ansiedlung einer Kreativwerkstatt zu nutzen und kleinen Start up-Unternehmen günstig Räumlichleiten anzubieten.

Zitat: „Es gibt zu wenig Feste, die als Stadtfest im Zentrum stattfinden. Zwar sind viele Vereine mit eigenen Festen stark engagiert, aber ein Stadtfest sollte öfter stattfinden. Im Vergleich zu Nachbarkommunen ist in Erlensee nichts los.“ – Ihre Ideen dazu?

Wir haben zwar alle drei Jahre das Hof- und Gassenfest – allerdings nur im Stadtteil Langendiebach – und alle fünf Jahre das Stadtfest sowie jährlich das Weinfest und das Wasserbüffelfest. Aber leider gibt es in Rückingen kein Kirchplatzfest mehr. Der Wunsch ist auf jeden Fall berechtigt und Feste sind wichtig zur Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stadt. Diese Anregung werde ich auf jeden Fall aufnehmen.

Haben Sie ein Digitalisierungskonzept für die Stadt?

Ich habe kein fertiges vorliegen, wir benötigen aber dringend ein solches für eine noch bürgernähere Stadtverwaltung. Dabei muss man jedoch beachten, dass der Service sowohl digital als auch analog erfolgen muss, um alle Generationen zu bedienen. Die Grünen haben übrigens vor zwei Jahren Hot-Spots für kostenfreies WLAN beantragt, was aber von der Mehrheit der Stadtverordneten abgelehnt wurde. Was wir übrigens auch benötigen, sind schnellere Internetverbindungen hier in Erlensee.

Gibt es aus Ihrer Sicht in Erlensee besondere Handlungsfelder im Bereich Kriminalität?

Von der beschworenen Kriminalität in Erlensee bekomme ich sehr wenig mit. Die Statistik zeigt dies ja auch an zurückgehenden Delikten, von denen am meisten noch Diebstahlsdelikte und keine Sexual- oder Körperverletzungsdelikte sind. Ich gehe übrigens zwei Mal pro Woche durch das Erlenwäldchen und fühle mich immer sicher. Aber trotz allem ist das subjektive Sicherheitsgefühl ein großes Thema, welches man ernst nehmen muss, zumal auch ich eher zu den ängstlichen Typen gehöre. Objektiv gesehen ist Erlensee aber kein krimineller Brennpunkt. Was ich übrigens begrüße, sind Veranstaltungen, die insbesondere SeniorInnen helfen, sicherer zu leben. Das sind Aktionsnachmittage, die gemeinsam von der Polizei und der Stadtverwaltung organisiert werden und wo die Generation 60plus viele Informationen zum Thema Einbruchschutz, Schutz vor Betrugsstraftaten und auch Verkehrssicherheit erhält. Ich würde mir das auch für Kinder und Jugendliche wünschen; Selbstverteidigungskurse, Nein-Sagen-Lernen, etc. Außerdem haben wir eine funktionierende Ordnungspolizei hier in Erlensee, die ein wichtiger Faktor für die Sicherheit darstellt.

Eine Idee: „Das Interimsrathaus der Stadt Bruchköbel im Fliegerhorst verbleibt im Besitz des Zweckverbands. Das Erlenseer Rathaus zieht auf den Fliegerhorst, das alte wird abgerissen und somit werden Sanierungskosten gespart. Ein Servicebüro verbleibt im Zentrum, welches zu einem pulsierenden Ort der Begegnung ausgebaut wird“. – Was halten Sie davon?

Die Idee hat Charme, zumal man dann auch die Stadtmitte zu einer Begegnungsstätte ausbauen könnte mit neuen Geschäften und auch einem Ärztehaus. Das jetzige Rathaus ist jedenfalls eine Katastrophe, sowohl von der Innenklimatisierung als auch vom enormen Energieverbrauch her. Bedingung ist natürlich, dass das Servicebüro hier im Zentrum bleibt.

Wie stehen Sie zu einer Fusion mit Neuberg?

Ich bin froh, dass wir Grüne von Anfang an gefordert haben, die Bürgerinnen und Bürger entscheiden zu lassen. Bevor diese Entscheidung gefallen ist, möchte ich hier nicht eine Vormeinung bilden. Die meisten erfolgreichen Fusionen der letzten Jahrzehnte haben zwischen gleich großen Gemeinden stattgefunden. Bei Erlensee und Neuberg ist dies nicht der Fall.

Wie sieht Erlensee – im Falle Ihrer Wahl – bei der nächsten Bürgermeisterwahl in sechs Jahren aus? Finanziell, räumlich, beim Verkehr, im Bereich Natur…?

Wenn ich Bürgermeisterin bin, wird Erlensee auf jeden Fall grüner sein und auch einen Beitrag dazu leisten, dass das Umfeld ökologischer wird. Wir werden ein sinnvolles Verkehrskonzept haben, und natürlich auch die Rahmenbedingungen für das Gewerbe organisieren. Es wird mehr mittelständisches und kleinteiliges Gewerbe geben. Der Blick auf die Finanzen ist ein wichtiges Thema für jeden Bürgermeister. Wir werden weiterhin durch unseren Einnahmemix von Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Grundsteuer und weitere Einnahmequellen wie Fördermittel aus dem Landes- oder auch Bundeshaushalt auf der Habenseite verbuchen. Die Ausgabenseite wird sich wie bisher auch in freiwillige und Pflichtaufgaben aufteilen. Da sind politische Entscheidungen, die ich entsprechende vorbereiten werde und mit allen Beteiligten verhandeln werde. Ich werde mehr für die Frauen tun. Die jetzt im Haushalt eingeplanten 1000 Euro für die Begehung des Weltfrauentages am 8. März reichen bei weitem nicht aus. Wir werden u.a. eine (ehrenamtliche) Frauenbeauftragte und einen Frauenrat haben, der relevante Themen für Frauen vorantreiben wird: Gleichstellung, Kinderbetreuung, Mentoren für Startups, Betreuungskonzepte für alte Menschen und mehr Sichtbarkeit im politischen Alltag. Erlensee wird sozialer, die Kinderbetreuung noch weiter ausgebaut sein. Erlensee wird bekannt sein als Fair-Trade- und als Fahrradstadt und wird insgesamt als grüne Kommune wahrgenommen und nicht mehr nur als Logistikstandort.

Eine gute Fee legt Ihnen 100.000 Euro auf den Tisch, die Sie für Erlensee ausgeben können. Für welche Verwendung des Geschenks entscheiden Sie sich ganz spontan?

Ich würde jeweils 25.000 Euro für den Rathausplatz, für einen Park an der Ravolzhäuser Straße inkl. Storchenturm, für die Leipziger Straße und für ein Projekt „Handwerksbetriebe und Auszubildende“ vorsehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

(Die Fragen stellte Markus Sommerfeld)

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