(pm/ea) – Der vom Deutschen Wetterdienst an der Station Lingen am 25. Juli gemessene Hintzerekord von 42,6 Grad wird vom privaten Wetterdienst WetterOnline als unbrauchbar bezeichnet und nicht anerkannt. „Bezüglich des Standorts der Wetterstation gibt es so viel berechtigte Kritik, dass dieser Wert gestrichen werden sollte“, heißt es in der Pressemitteilung von WetterOnline.
„Die Hitze im letzten Julidrittel war historisch, daran gibt es keine Zweifel“, sagt Matthias Habel, Meteorologe und Pressesprecher von WetterOnline. „Der alte Deutschland-Rekord von 40,3 Grad wurde zunächst in Geilenkirchen am 24. Juli mit 40,5 Grad knapp überboten. Noch tropischer war es einen Tag später, als an zahlreichen Stationen die 40-Grad-Marke überschritten wurde. So etwas hat es in Deutschland seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen nicht gegeben.“
Um Messungen miteinander vergleichen zu können, gelten Standards der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Sie regeln, dass Thermometer an offiziellen Wetterstationen belüftet und strahlungsgeschützt sein müssen. Zudem werden wichtige Anforderungen an die nähere Umgebung einer Messstelle formuliert, damit deren Werte nicht durch Bebauung, asphaltierte Flächen oder zu starken Bewuchs verfälscht werden.
„Schaut man sich Bilder der Wetterstation in Lingen an, so fallen dichte Hecken und eine hohe Baumreihe in nächster Nähe zum Thermometer auf. Der natürliche Bewuchs im nächsten Umfeld der Wetterstation hat in den letzten Jahren derart zugenommen, dass es in puncto ‚Belüftung‘ in Lingen größte Probleme gibt. Die Folge ist, dass sich Hitze dort bei intensiver Sonneneinstrahlung und wenig Wind staut“, erklärt Matthias Habel. „In der Folge werden Extremtemperaturen gemessen, die deutlich von Messungen im Umland abweichen.“
Niederländische Meteorologen haben dieses Phänomen als „Garteneffekt“ bezeichnet.
„Tatsächlich sticht Lingen sogar regelmäßig dramatisch aus den Messungen umliegender Orte hervor, mehrere Grad Abweichung sind keine Seltenheit. Die in Lingen gemessenen Spitzenwerte sind für nationale wie internationale Vergleiche einer Hitzewelle schlicht unbrauchbar. Der Fehler kann je nach Wetterlage ein bis drei Grad betragen“, so Matthias Habel.
Die Messwerte der Höchsttemperatur aus Lingen würden seit etwa fünf Jahren eine deutliche Sprache sprechen, da sie immer stärker von den eigentlich zu erwartenden Werten abwichen.
„Aus diesem Grund hat der Deutsche Wetterdienst schon 2014 eine Verlegung der Wetterstation an einen neuen Standort beschlossen. Die Verlegung wurde allerdings bis heute nicht vollzogen“, stellt Matthias Habel fest und legt nach: „Umso unverständlicher ist, dass der unter äußerst fragwürdigen Bedingungen ermittelte Rekordwert von 42,6 Grad nun vom DWD anerkannt wird.“
Doch Habel weiß auch: „Der DWD befindet sich in einer Zwickmühle: Erkennt er den Wert nicht an, so kommen die Leugner des unzweifelhaft stattfindenden Klimawandels aufs Feld. Erklärt der DWD den Rekord hingegen für ungültig, so müssten sich die Offenbacher Meteorologen zahlreichen unangenehmen Fragen stellen.“
WetterOnline wird aus den dargelegten Gründen den Wert aus Lingen nicht mehr als Rekord aufführen. „Aus unserer Sicht ist es nicht hinnehmbar, dass womöglich über Jahre hinweg im In- und Ausland ein offensichtlich viel zu hoher Rekordwert aufgeführt wird.“
Der DWD hält den Messwert dagegen für korrekt, wie DWD-Pressesprecher Andreas Friedrich gegenüber Erlensee Aktuell auf Anfrage berichtete.
Der Wert der Station Lingen sei sowohl von der Messtechnik her als auch bezüglich der Stationsumgebung von Experten geprüft und als korrekt anzusehen. Er wies die Kritik von WetterOnline bezüglich des aufgeführten „Garteneffekts“ zurück. Die Station sei ausreichend belüftet, das von WetterOnline veröffentlichte Foto gebe aufgrund des Blickwinkels nicht die gesamte Umgebung wieder. Man könnte sonst erkennen, dass die Baumreihe auf der linken Seite eben nicht geschlossen sei sondern Lücken aufweise, die einen Staueffekt nicht zulasse.
Der seit mehreren Jahren geplante Umzug liege allein darin begründet, dass der Windmesser und die Sensoren zur Messung der Sonnenscheindauer bald von den höher gewachsenen Bäumen beeinflusst werden können. Außerdem stehe das Gelände zum Verkauf an, da vor kurzem die Augenbeobachtungen dort eingestellt worden seien und das leerstehende Dienstgebäude mit dem Stationsfeld veräußert werden sollen.
Andreas Friedrich kündigte für die nächsten Tage eine ausführliche Stellungnahme des DWD zu den gemessenen Rekordwerten an.
Auf dem Foto: Das Messfeld der Wetterstation Lingen
Foto: WetterOnline