(pm/ea) – Die aktuelle Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern überrascht: Die Zuversicht in der Wirtschaft wächst! Die Unternehmen konstatieren eine richtig gute Lage und so gute Aussichten wie zuletzt im Frühsommer 2014 – und das im fünften Jahr des Aufschwungs!
Zu diesem Ergebnis die IHK nach Auswertung der aktuellen Konjunkturumfrage zum Frühsommer, an der sich 165 Unternehmen aus allen wichtigen Branchen und Orten im Main-Kinzig-Kreis beteiligt haben.
Wenn 43,0 Prozent der Unternehmen im Main-Kinzig-Kreis ihre Lage als „gut“ bewerten und weitere 49,1 Prozent als „befriedigend“, dann läuft gerade vieles rund in der Wirtschaft – aber leider nicht in allen Branchen. Unter den 7,9 Prozent der „schlechten“ Lageeinschätzungen befinden sich vergleichsweise viele Gastronomen und Einzelhändler. „Gerade beim Einzelhandel zeigt sich, dass unabhängig von der guten Konjunktur das Einkaufen im Internet eine wachsende Konkurrenz darstellt. Hier beginnt möglicherweise eine längerfristige, strukturelle Entwicklung die kurzfristige konjunkturelle Lage zu beherrschen“, merkt dazu IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Gunther Quidde an.
Weil zugleich 24,5 Prozent der Unternehmen von einer „eher günstigeren“ und weitere 62,2 Prozent von einer „etwa gleich“ guten Geschäftslage in der nahen Zukunft ausgehen, gewinnt der schon fünf Jahre alte Aufschwung gegenwärtig an viel junger Kraft. Lediglich 12,9 Prozent der Unternehmen blicken pessimistisch in die Zukunft. Im Großen und Ganzen handelt es um Betriebe, die im Strukturwandel stecken, etwa Einzelhändler in Innenstadtlagen oder um Unternehmen aus dem boomenden Baugewerbe, die einerseits ihre vielen Aufträge kaum noch bewältigen und andererseits wegen des hohen Wettbewerbsdrucks keine höheren Preise durchsetzen können. Auch vom Internetgeschäft bedrängte Finanzdienstleister und Gastronomen, denen vielfach gute und erfahrene Mitarbeiter fehlen, bewerten ihre Aussichten deutlich skeptischer. In diesen Branchen kann eine bessere Konjunktur den anstehenden Wandel allenfalls abfedern.
Vorreiter Industrie
Gestützt wird die Beobachtung, dass der Aufschwung nochmals an neuer Kraft gewinnt, durch die Angaben der konjunkturellen Vorläufer, die vor allem in der Industrie zu finden sind: So blicken die Hersteller von Investitionsgütern zu 38,9 Prozent optimistisch nach vorn – der Wert lag seit drei Jahren nicht mehr so hoch. Zur Einschätzung passt auch, dass die Inlands- und Auslandsaufträge der gesamten Industrie zuletzt kräftig gestiegen sind.
„Die Industrieunternehmen ziehen andere nach. Zunächst ihre Zulieferunternehmen, dann Dienstleistungsunternehmen, dann vielleicht Zeitarbeitsunternehmen und am Schluss hat auch der Gemüsehändler an der Ecke etwas davon“, beschreibt Quidde die mögliche Entwicklung. „Noch deutlich greifbarer wird der sich gerade verstärkende Aufschwung, wenn die Erwartungen der Industrie-Unternehmen von vor einem Jahr mit in Betracht gezogen werden: Damals hofften 18,2 Prozent auf ein besser so. Heute sind 28,6 Prozent optimistisch“, ergänzt der IHK-Hauptgeschäftsführer.
Inflation bleibt moderat
Das kräftige Wirtschaftswachstum in Deutschland von 0,6 Prozent allein im ersten Quartal 2017 wird durch die niedrigen Zinsen, den noch immer recht günstigen Ölpreis und den sehr niedrigen Euro-Wechselkurs zusätzlich befeuert. „Diese Mischung wirkt wie Doping auf unsere Wirtschaft. Gerade der Euro-Wechselkurs macht mir Sorgen. Denn seinetwegen sind für das Ausland qualitativ hochwertige deutsche Produkte sehr günstig. Steigt der Wechselkurse, kann es damit sehr schnell wieder vorbei sein, doch gleichzeitig haben sich die ausländischen Einkäufer an die niedrigen Preise gewöhnt, so dass es unsere Produkte später dann besonders schwer haben könnten. Aber das liegt noch hinter dem Horizont, aktuell gibt es eine andere Sorge: Der Fachkräftemangel begrenzt die Wirtschaft immer stärker“, warnt Quidde.
Die noch niedrigen, aber zuletzt wieder angezogenen Preise für Erdöl lassen seit einigen Monaten die Inflationsrate wieder leicht ansteigen. Die Folge: Das Niveau der Verbraucherpreise liegt um über zwei Prozent höher als vor einem Jahr – ein Wert, der es der Europäischen Zentralbank bald ermöglichen wird, die Zinsen im Euroraum wieder anzuheben.
Wenn die Verbraucher mehr Geld für Kraftstoffe und Heizmittel ausgeben müssen, belastet dies automatisch den Einzelhandel, der mit dem Ende des Weihnachtsgeschäfts in die – jahreszeitlich typische – Flaute gesegelt ist. Aber das ist es nicht allein: Laut der amtlichen Statistik sanken allein im Februar die Umsätze im hessischen Einzelhandel um 2,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Abgesehen von besonderen Sparten wie dem Handel mit Kommunikations- und Informationstechnologie und dem Internet- und Versandhandel entwickeln sich die Umsätze auf breiter Front eher ungünstig.
Dieser Abstieg spiegelt sich in der Konjunkturumfrage: Aktuell berichten 15,4 Prozent der Einzelhändler über gute und 23,1 über schleppende Geschäfte, vor einem Jahr waren 33,3 Prozent positiv gestimmt und 16,7 negativ. „Das ist binnen Jahresfrist ein Absturz um 24,5 Prozentpunkte im Saldo und damit ein echtes Warnzeichen. Im klassischen Einzelhandel stehen die Signale auf ROT: Händler, die das Internet noch nicht als Vertriebskanal nutzen, haben es immer schwerer“, sorgt sich der Hauptgeschäftsführer. Dass der Handel insgesamt Zukunft hat, beweisen nicht zuletzt die Versand- und Großhändler, die den Aufschwung in vollem Umfang für sich nutzen. Das gelingt ihnen, weil in Deutschland Rekordbeschäftigung herrscht: Immer mehr Menschen haben Arbeit und damit ein eigenes Einkommen, das lässt den Konsum wachsen.
Auslandsgeschäft floriert, Investitionen steigen auf breiter Front
Das starke Inlands- und das erfreulich solide Auslandsgeschäft der Industrie haben noch nicht in vollem Umfang auf die zuliefernden Dienstleistungsbetriebe übergegriffen. Ob Marketing und Werbung oder IT-Lösungen, ob Abfallbeseitigung oder Beratungen: Den Unternehmen geht es gut und ihre Erwartungen sind positiv, aber ein einsetzender Boom ist noch nicht zu beobachten. Dazu ist es auch noch zu früh. Vorwiegend gut läuft es schon jetzt in der Logistik- und Verkehrswirtschaft – über 42 Prozent der Unternehmen bezeichnen ihre aktuelle Situation als „gut“ und kaum eines als „schlecht“.
Angesichts der besseren Auslastung und der hohen Nachfrage überlegen auch immer mehr Unternehmen aus der Industrie und der Dienstleistungsbranche, mehr Geld in neue Anlagen und Maschinen zu stecken Das berichten 33,9 Prozent der Industrie-Unternehmen und 22,2 Prozent der industrienah aktiven Diensteistungsfirmen, das sind 20 beziehungsweise elf Prozentpunkte mehr als vor einem Jahr. Der vorhandene Investitionsstau dürfte sich deswegen aber nicht sofort auflösen. Auch in diesem Punkt gibt es Ausnahmen: Weite Teile des gebeutelten Einzelhandels verweigern sich dem Trend zu mehr Inlandsinvestitionen. Im Einzelhandel liegt der Saldo derjenigen Unternehmen, die mehr beziehungsweise weniger investieren wollen, bei -7,7 Punkten.
Fachkräftemangel bremst
Der regionale Arbeitsmarkt kann kaum noch qualifizierte neue Mitarbeiter zur Verfügung stellen: Die Hanauer Agentur für Arbeit erfasste Ende April 10.304 Arbeitslose, von denen immerhin 6.763 die Grundsicherung für Arbeitsuchende gemäß den Hartz-IV-Regeln erhalten. „Der Main-Kinzig-Kreis unterscheidet sich durch einen Vorteil deutlich von vielen anderen Regionen, die unter Vollbeschäftigung leiden: Wir haben jeden Tag 70.000 Pendler, von denen viele bereit sein könnten, sich die oft frustrierende Pendelei zu sparen. Aber Vorsicht: Viele von ihnen sind die höheren Einkommen in Frankfurt und Umgebung gewohnt!“ sagt Quidde.
Weil außerdem immer weniger junge Menschen die Schulen verlassen und die Flüchtlinge größtenteils noch nicht fit für den Arbeitsmarkt sind, klafft eine Lücke. Sie wird dadurch vergrößert, dass immer mehr Unternehmen aus der Industrie und der Dienstleistungsbranche neue Mitarbeiter suchen. Werden die geplanten Einstellungen und Entlassungen saldiert, ergibt sich ein bemerkenswert hoher Saldo von 10,8 Prozent. „Vor einem Jahr lag der Saldo noch bei minus -6,3 Punkte – wobei selbst das kein schlechter Wert war. Es gibt in der IHK-Umfrage an dieser Stelle stets eine systemisch bedingte Verzerrung: Junge Unternehmen bauen häufig Stellen auf, nehmen aber noch nicht an der Umfrage teil. Von daher ist ein Plus von 10,8 Punkten sehr kritisch zu sehen: Der Fachkräftemangel zwingt auch die Unternehmen im Main-Kinzig-Kreis zum Verzicht auf Erweiterungen oder zur Verlagerung von Teilen der Produktion“, befürchtet Quidde. Er stützt seine Einschätzung nicht zuletzt auf die Risiko-Einschätzung der Unternehmen: 57,1 Prozent sehen im Fachkräftemangel mittlerweile ihr größtes unternehmerisches Risiko. „Als so gefährlich wurde der Fachkräftemangel bisher noch nicht eingeschätzt. Sein Wert liegt weit oberhalb der Werte für steigende Arbeitskosten (42,2 Prozent) und politische Rahmenbedingungen(47,2 Prozent). Das ist ein überdeutlicher Warnschuss. Wir alle müssen mit unserer Personalpolitik viel kreativer und mutiger werden, oder wir scheitern vor lauter Erfolgen“, resümiert Quidde.