(pm/ea) – Schlimm genug, wenn der Körper nicht mitspielt – wenn die Beine versagen, das Sprechen nur undeutlich oder gar nicht möglich ist, die Gesichtszüge „entgleiten“ oder die Extremitäten in einer Stellung verharren, die andere als nicht „normal“ betrachten. Viel schlimmer ist es allerdings, wenn die Menschen, die einem begegnen, vom Körper auf den Geist schließen. Und das passiert oft.
Dabei kann ja, wer unter epileptischen Anfällen leidet oder auf den Rollstuhl angewiesen ist, geistig topfit sein. Wie beispielsweise Mareike S. (Name geändert). Sie leidet an einer unheilbaren spastischen Erkrankung, ist gelernte Industriekauffrau, Musikliebhaberin – „und eine höchst geistreiche, humorvolle Gesprächspartnerin“, wie CDU-Landratskandidatin Srita Heide findet. Die beiden Frauen lernten sich jüngst kennen, als Heide ein mehrstündiges Praktikum bei der Selbsthilfe Körperbehinderter Hanau/Gelnhausen e. V. in Erlensee absolvierte. Schnell kamen sie miteinander ins Gespräch, zum Beispiel über ihre jeweiligen Lebensziele. Während die Kreispolitikerin, kaum überraschend, die Landratswahl am 5. März gewinnen will, ist der größte Traum von Mareike: einmal bei „Rock am Ring“ dabei sein.
Srita Heide hat sich ganz bewusst dafür entschieden, im Rahmen ihrer Wahlkampftour durch den Main-Kinzig-Kreis auch hier Station zu machen und wenigstens für ein paar Stunden in die Alltagspraxis einzutauchen. „Als nichtbehinderter Mensch kann man es sich kaum vorstellen, wie es ist, wenn der Körper nicht mitspielt“, so die Christdemokratin. „Umso wichtiger ist es, sich auch als Politiker mit dieser Thematik zu beschäftigen, denn wir treffen ja immer wieder Entscheidungen, die das Leben der Menschen unmittelbar betrifft.“
Die ambulante Selbsthilfe wurde in den 1970er Jahren mit der Prämisse gegründet, Menschen mit körperlichem Handikap dabei zu unterstützen, ein weitgehend selbstständiges Leben zu führen – und zwar in den eigenen vier Wänden. „Dazu bieten Fachkräfte eine Reihe unterschiedlicher Hilfen für alle Altersgruppen und unabhängig von der Art der Behinderung an“, erzählt Vereinsvorsitzender Uwe Schneider. Junge Leute können hier auch ein Freiwilliges Soziales Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst ableisten. Kostenträger ist der Landeswohlfahrtsverband. „Die Zusammenarbeit mit der Stadt Erlensee läuft bestens“, betont Schneider.
Der Verein betreut mit fünf Mitarbeitern 30 Klienten – auf den Begriff „Patient“ wird bewusst verzichtet, denn das ambulante betreute Wohnen ist kein Pflegedienst. Srita Heide hat sich für den Fahrdienst eintragen lassen, denn so kommt sie mit den verschiedensten Klienten zusammen. So auch mit Hilde W. (Name geändert), die nach einem Verkehrsunfall im Rollstuhl sitzt. Als Hartz-IV-Empfängerin hat sie nur Anspruch auf eine 60-Quadratmeter-Wohnung. Die zu finden wäre nicht das Problem, wenn es nicht diese zusätzliche Anforderung gäbe: Die Wohnung muss natürlich barrierefrei sein. Und da ist das Angebot bezahlbarer Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt nicht gerade breit gefächert. Hilde W. steht auf der Warteliste. Der Verein hilft ihr zusätzlich bei der Suche.
„Grundsätzlich steht aber die Bewältigung des Alltags ganz oben auf unserer Unterstützungsagenda“, sagt Schneider. Dazu gehören Behördengänge, Festlegung von Terminen oder Planung und Gestaltung eines Urlaubs – und zwar so, wie es sich die Klienten vorstellen. Sie nehmen beispielsweise auch an öffentlichen Festen teil – unterstützt nicht selten von ehrenamtlichen Helfern. „Das ist das Großartige an der Arbeit des Selbsthilfevereins: Die Klienten werden nicht in Abläufe und Verhältnisse gepresst, die ihnen vielleicht gar nicht liegen, sondern es werden so weit wie möglich ihre Wünsche berücksichtigt. Das stärkt das Selbstwertgefühl und macht sie zu vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft. So etwas verdient unbedingt Unterstützung.“
Wünsche an die möglicherweise künftige Landrätin? „Viele Gehwege sind nicht rollstuhlgerecht“, zählt Uwe Schneider auf. „Auch im Nahverkehr sollte sich Einiges bessern. Manche Busunternehmen nehmen beispielsweise keine Scooter mit. Das passt mit den vielbeschworenen Inklusionsbemühungen nicht recht zusammen.“ Srita Heide nickt. „Es ist wirklich sehr wichtig gewesen, dass ich hier vorbeigeschaut habe.“ Dann winkt sie Mareike S. zu. Als Landrätin wird sie auf jeden Fall eine Busfahrt zu „Rock am Ring“ organisieren.
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