(pm/ea) – In einer Pressemitteilung der Stadt Erlensee wird von einem Beispiel gelungener Integration berichtet. Der Bericht – basierend auf einem Interview einer Flüchtlingsfamilie mit dem Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit bei der Stadt Erlensee, Wolfgang Niebling, wird nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben:
„Nicht nur ein bekannter Trainer hatte die Energie (wenigstens anfangs) so eisern zu pauken, dass er binnen weniger Wochen auf Deutsch kommunizieren konnte. Auch in Erlensee gibt es ein Ehepaar, das die Zeit im Sammellager genutzt hat, etwa 6 Stunden oder mehr jeden Tag, die deutsche Sprache zu erlernen.
„Wir könnten gerne englisch reden, wenn ihnen das lieber ist“, sagte der Verantwortliche für die Öffentlichkeitsarbeit bei der Stadt Erlensee, Wolfgang Niebling, dem Gast in seinem Büro, eben, um die Situation so einfach wie möglich für den jungen Mann zu gestalten. Der Interviewpartner, Ahmad Qarizada, der Flüchtling, der mit seiner Familie, Frau Behishta Hashimi und Tochter, zu dem Termin gekommen war, antwortete: „Nein, nein, ich lebe jetzt hier in Deutschland, dann möchte ich das auch konsequent machen und mit ihnen während des Interviews deutsch reden!“
Diese Aussage rief natürlich Respekt hervor, aber auch Skepsis, ob da denn jetzt schon was „rauskommen“ kann. Aber schon nach wenigen Augenblicken war allen klar, englisch sprechen brauchen wir nicht!
So folgte ein etwa 45-minütiges Gespräch in deutscher Sprache, in dem klar wurde, dass unerträgliche Lebensumstände in manchen Regionen der Welt in manchen Fällen, eine „Win, Win, Win,Win“- Situation hier in Deutschland erzeugen können.
Warum?
- Erlensee hat zwei topqualifizierte Steuerzahler mehr
- Ein Unternehmen hat zwei Hochkaräter einstellen können
- Der Main-Kinzig-Kreis weiß spätestens jetzt, dass das Programm, „Perspektiven für Flüchtlinge“, das die beiden jungen Leute mit dem deutschen Arbeitsmarkt in Verbindung bringen konnte, bei Einsatz aller Beteiligten, inklusive den Bürgern von Erlensee, den sogenannten Flüchtlingshelfern, funktioniert!
- Spätestens die Aussage des Ehepaares, dass sie sehr wohl schon darüber nachgedacht haben, irgendwo, vielleicht näher am Arbeitsort Frankfurt, ein Häuschen zu bauen, aber beschlossen haben, wegen den hervorragenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten und insgesamt der klasse Lebensqualität in ihrer neuen Heimat Erlensee zu bleiben, lieber ein wenig Fahrweg zum Arbeitsplatz in Kauf zu nehmen. Diese Entscheidung sollte dann auch den Bürgermeister, alle für diese Stadtpolitik Verantwortlichen und die Erlenseer mit Stolz erfüllen.
Ende April 2014 ist die Familie Hashimi / Qarizada aus Kabul / Afghanistan nach Deutschland eingereist; sie kamen über die „Balkanroute“.
Am 11. Juni 2014 sind sie bei der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen (HEAE) registriert worden.
Seit Ende August 2014 hat die junge Familie ihre neue Heimat in Erlensee gefunden.
Der Entschluss, Kabul und die vertraute Umgebung von Familie (Eltern, Brüder, Schwestern und Freunden) zu verlassen, reifte im Verlaufe des Jahres 2013, als sich die Sicherheitslage vor Ort sichtbar verschlechterte. Faisal Qarizada arbeitete als Design-Ingenieur für eine Privatfirma und konzipierte die Stromversorgung für Bauvorhaben der US-Army und vor Ort ansässiger US-Firmen. Frau Behishta Hashimi managte als Senior-Informatik-Ingenieurin die Netzwerk-Abteilung einer ausländischen Telekommunikationsgesellschaft. Nach der Ankündigung der US-Streitkräfte und der NATO, die Soldaten schrittweise aus Afghanistan abzuziehen, änderte sich das bis dahin durchaus komfortable Leben in ihrem Heimatland. Drohbriefe lagen immer häufiger im Briefkasten, die Taliban verübten nahezu täglich Anschläge.
Wegen dieser Bedrohungslage musste die junge Familie Anfang 2014 die eigene Wohnung aufgeben und ins Elternhaus ziehen; das Verbleiben in Kabul wäre jetzt mit einem extrem hohen Risiko für Leib und Leben verbunden, zu gefährlich. Besonders für die kleine Tochter gab es so keinerlei Perspektiven. So reifte der Entschluss zur Flucht.
Über die sogenannte „Balkanroute“ kam die Familie, ausgestattet eben mit Allem, was man auf diesem Weg braucht, über verschiedene Stationen mit verschiedenen Transportmitteln schließlich in Deutschland, in Frankfurt, an. Um hierher zu kommen, bediente man sich einiger Helfer, die in Kabul an jeder Straßenecke zu finden waren, vor allem nach der Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul seit 2013. Deshalb wagte man im April 2014 die Flucht über die „Balkanroute“ nach Deutschland, mal zu Fuß, mal mit dem LKW.
Ende Mai 2014 erreichten sie Hessen. Sie wurden in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen, in Gießen, registriert und erhielten dort, wie alle Flüchtlinge, ihre Aufenthaltsgestattung, eine Art Personalausweis.
Wenig später ging es über das Hofgut Reith (Hof Reith I) in Schlüchtern weiter nach Erlensee, wo die dreiköpfige Familie Ende August 2014 ankam.
Hier gab es für die Neuankömmlinge einen „sicheren Hort“, eine Wohnung. Der Fachbereichsleiter „Familie und Soziales“ in der Stadtverwaltung Erlensee, Reiner Mayer, begrüßte die Familie bei ihrer Ankunft und öffnete ihnen die Tür zum neuen Zuhause.
Wie zuvor stand Deutsch lernen auf dem Tagesplan der beiden entschlossenen jungen Leute ganz oben, das hieß vor allem Pauken im Selbststudium von sechs und mehr Stunden täglich.
Ergebnis: Hervorragende Deutschkenntnisse nach schon 14 Monaten!
Ein Mitarbeiter der Berufsberatung des Diakonischen Werks sichtete die mitgebrachten Dokumente und Zeugnisse. Die guten Deutschkenntnisse und die Top-Qualifikationen gaben auch den Ausschlag für den Flüchtlingspaten, mit der Familie die Berufsberatung der Arbeitsagentur in Hanau anzusteuern.
Ein Termin bei der Arbeitsagentur Hanau wurde vereinbart, um die Chancen im Programm des Main-Kinzig-Kreises „Perspektiven für Flüchtlinge“ auszuloten.
Die flüssige Erläuterung des persönlichen und beruflichen Werdegangs ermöglichte dann ab Januar 2015 eine Teilnahme an einem 3-Monats-Maßnahmeprogramm des Main-Kinzig-Kreises: „Perspektiven für Flüchtlinge“.
Auf dieser Basis konnten dann nach nur 19 Monaten alle geforderten Eingliederungsmaßnahmen im Rahmen des MKK-Programmes „Perspektiven für Flüchtlinge“ erfüllt werden, sogar ein Praktikum war bereits erfolgreich absolviert. Wenig später war die Bewerbung der beiden Ingenieure komplett.
Die Verkehrsbetriebe Frankfurt gaben den beiden Bewerbern schließlich die Chance für ein Vorstellungsgespräch. Das war der Türöffner! Die jungen Ingenieure überzeugten auch im Vorstellungsgespräch bei den jeweiligen Bereichsleitern. Ein Praktikum wurde vereinbart.
Da dieses Praktikum offensichtlich beste Eindrücke hinterließ, konnte dem Flüchtling Ahmad Qarizada und seiner Frau Behishta Hashimi nach sagenhaften 22 Monaten!! – – der Wiedereintritt in den Beruf als Elektronik-Ingenieur und als Informatik – Ingenieurin in Deutschland gelingen!
Die Verkehrsbetriebe Frankfurt erkannten das Potential, das ihnen die beklagenswerten Umstände in den Krisenregionen der Welt zugespielt hatte, und gaben beiden Fachkräften einen längerfristigen Arbeitsvertrag.
Wer also ein gelungenes Beispiel von erfolgreicher Integration sucht, hier in Erlensee kann er sie finden; sicherlich, eine Ausnahme, weil diese Energieleistung schon selten ist, aber: Es gibt sie!
Was also muss von der Aufnahmekommune geleistet werden, was muss alles stimmen, um Flüchtlingen, die wirklich und ehrlich eine neue Heimat suchen, den Einstieg in ein neues Leben mit Job so zu ermöglichen, dass letztendlich auch der deutsche Bürger und Steuerzahler, spätestens als Rentner, von den dann anfallenden Abgaben der Neuankömmlinge profitieren kann?
- Genügend Sprachkurse müssen angeboten werden – Voraussetzung von Integration sind gute Deutschkenntnisse.
- Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer; Bürgerinnen und Bürger müssen genügend da sein, um den Ankömmlingen zu ermöglichen, ein wenig Land und Leute kennenzulernen, auch um die „Behördengänge“ zu erleichtern. In diesem Fall war es der Pensionär Dr. Gottfried Kranen aus Erlensee, der selber Flüchtlingsschicksale in der Familiengeschichte hatte, der helfen konnte.
- Treffen zwischen Flüchtlingen und Erlenseer müssen angeboten werden: Basare, Kaffeetreffen, Beteiligung an öffentlichen Aktionen und Festen, um Kontakte zu ermöglichen
- Bei einem Kleiderbasar, veranstaltet von der Flüchtlingsbeauftragten der Stadt, Yasemin Bülbül, kam der sogenannte „Erstkontakt“ für Flüchtlinge im April 2015 zustande.
- Die verantwortlichen Sachbearbeiter der Behörden unterstützen die Bemühungen der Flüchtlingspaten mit allen legalen, wenn nötig, auch manchmal unkonventionellen Maßnahmen/Initiativen
- Clevere, aufgeschlossene Unternehmer erkennen ihre Chancen und geben anderen eine Chancen, wagen einen Versuch. Hier gaben die Bereichsleiter der Verkehrsbetriebe den beiden Bewerbern die Chance für ein Vorstellungsgespräch.
- Bei Flüchtlingen muss der Wille da sein, die deutsche Sprache zu erlernen!
Weil: Integration gelingt nur durch Erlernen der Sprache, gute Deutschkenntnisse sind zwingend, Sprachkurse deshalb sehr wichtig; Deutsch lernen und sprechen stehen hier genauso auf dem Lehrplan wie staatsbürgerliche Themen und die Grundzüge des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft. Neben sprachlichen Fähigkeiten braucht es Kenntnisse der Regeln der neuen Heimat, wenn man „Ankommen“ will.
Fakt ist auch, dass das Tor zum Arbeitsmarkt, zum Job, durch umsichtige Mitarbeiter der entsprechenden Behörden geöffnet wird, durch maßgeschneiderte Programme und durch engagierte Firmen, die auch mal was riskieren, dann aber möglicherweise für Jahrzehnte profitieren.
Aber folgende Realität bleibt immer entscheidend:
Allen oben genannten Menschen und Organisationen sind auf die Einsatzbereitschaft und Motivation der Menschen angewiesen, die hier in Erlensee, in Deutschland eine neue Heimat suchen, eine neue Existenz aufbauen WOLLEN.
Niemand ist gewillt, warum auch, einen Jagdhund zum Jagen zu tragen – mit gutem Recht!“
Auf dem Foto: Flüchtlingspate Dr. Gottfried Kranen mit der erfolgreich integrierten Flüchtlingsfamilie
Foto: Stadt Erlensee